Sonntag, 27. April 2008

Dieser Blog ist tot. Ich blogge weiter auf dem «Agile Trail».

Schnelle Hasen und verreckte Füchse: Hamburg-Marathon 2008

Sonntag, 27.04.2008: Ich habe mir heute einen Sonnenbrand geholt, bin fast Halbmarathon-Bestzeit gelaufen, habe zwei Hasen ziehen lassen müsssen, mir wurden Getränke gereicht...

Am Morgen des Vortags wollte ich eigentlich Anreisen per Flieger, von Karlsruhe nach Hamburg, doch auf der Autobahn zum Baden-Airpark war ein Stau und so reichte die (zugegeben: knapp kalkulierte) Zeit nicht mehr bis zum Check-In-Ende. Da rief auf einmal Matthias an: "Und, biste schon im Flieger?"

Matthias Rotzoll hat mir schon vor Monaten angeboten, für mich den Hasen zu machen in Hamburg. Vor zwei Jahren bin ich schon einmal zu ihm nach Hamburg, wo wir dann getrennt den Marathon angegangen sind (Matthias war damals auch Hase, allerding Hase für Rolf Aldag). In diesem Jahr sollte ich mich also an Matthias' Hintern für angepeilte 2:56 h erfreuen dürfen.

"Ich ärgere mich gerade, dass ich das Ticket nicht erstattet bekomme!", antwortete ich Matthias. Bin dann per Bahn angereist und nur etwa sechs Stunden später als mit dem Flieger in Hamburg angekommen.

Matthias, seine Freundin Jessie und ich gingen dann erstmal auf die Marathon-Messe: Startnummern abholen, Matthias' Pulsuhr reparieren lassen und dazwischen ein wenig auf den Ständen bummeln. Danach fuhren wir zur berühmten Pasta-Party bei Matthias' Eltern in Itzehoe. Obwohl wir noch zweimal in einen Stau gefahren sind und Matthias stichelnderweise mir das Anlasten wollte, war doch das Fliegerverpassen schnell wieder vergessen.

Nach der Pasta-Party (Lecker!) fuhren wir gegen Abend zu Matthias' und Jessies Wohnung, wo wir die Sachen für den Lauf zusammenpackten und noch ein wenig die Renntaktik besprachen. Einfache Regeln: Wir peilen 2:56 h, das ist deutlich unter 3:00 h, also dem, was ich unterbieten möchte. Das sind im Schnitt 4'10 min/km. Ich laufe hinter Matthias und klebe ihm sozusagen am Hintern, egal was kommt. Bei den Verpflegungsstellen soll ich vorher meine "Bestellung" bei ihm aufgeben, ich könnte in gleichmäßigem Tempo weiterlaufen und er würde mich dann samt Getränk wieder einholen (Matthias' Bestzeit ist 2:36 h - mal zwischendurch auf 3'40 min/km beschleunigen ist für Matthias kein Problem, mich einzuholen ergo auch nicht). Holger, den ich vor zwei Jahren kennenlernen durfte, würde auch mit uns mitlaufen, ergo könne ich mich auf zwei Hasen verlassen. Na, wenn das kein Service ist!

Gut, tief und fest schlief ich die Nacht durch und war beim ersten Handy-Piep um 6:00 h morgens wach. Wenig Frühstück, damit der Magen keinen Ärger macht, ein bisschen Kaffee, zwecks Darmentleerungs-Anreiz vor dem Lauf, letztes Wir-schaffen-das-zusammen-Foto (siehe links) geschossen, und ab ging's über den Umweg Holgerabholen in die Hamburger City.

In Schlump-Nähe geparkt fuhren wir ein paar Stationen Bahn, wobei annähernd japanische Verhältnisse herrschten: proppevoll! Wir zogen uns mitten auf dem Heiligengeistfeld um - Umkleidebereiche brauchte man bei strahlendem Sonnenschein nicht aufsuchen.

Als Läufer beobachtet man mindestens sieben Tage vor solch einem Lauf den Wetterbericht der Region, in der der Lauf stattfinden wird. Und das sah vor sieben Tagen noch sehr läuferfreundlich aus: 11° C Tageshöchsttemperatur, dazu ausgiebig Regen. Über die Woche veränderten sich die Prognosen, auf 20° C und Sonnenschein (mit Aussicht auf Gewitter am Abend - aber welchen Läufer interessiert schon ein Gewitter am Abend...

Wir zogen uns um und registrierten, dass es schon T-Shirt-warm in der Sonne war. Nicht gut für eine Bestzeit. Egal, ansonsten passte alles, die Beine fühlten sich gut an, der Magen auch, und überhaupt war die Stimmung relaxed. Kleiderbeutel abgeben, Toiletten-Maut einwerfen und 10 Minuten vor dem Start standen wir zusammen in Block B. Perfekt soweit.

Bei Kilometer 2 hatte ich ein Aha-Erlebnis: Aha, das läuft sich ja hier einfach super! Die ersten Kilometer liefen wir um 4'05 min/km, und es fühlte sich total locker an. Schön. Ich habe möglichst versucht, den Kopf leerzubehalten, quasi den Brain-Off-Modus herzustellen, der bei der Arbeit so stört. Das ging auch einigermaßen gut.

Vom Start weg läuft die Masse die Reeperbahn Richtung Altona runter. Anfangs bin ich nur Matthias hinterhergelaufen, später dann, als die Reihen sich um uns lichteten, konnten Matthias und Holger nebeneinander laufen, so dass ich quasi um einen halben Läufer versetzt zwischen ihnen lief. Super! Windschatten (naja, nicht viel, aber man bildet es sich ein) und ein direkter Kontakt zu meinen Hasen, so dass ich nie auf den Abstand zwischen uns achten musste und mich ganz aufs Laufen konzentrieren konnte. Quasi ein kenianischer Express in der Itzehoher Variante.

Bei Kilometer 5 tutete Matthias' Vater uns auf seiner unüberhörbaren Tröte entgegen und Jessie stand winkend neben ihm. Es ist sehr schön, angefeuert zu werden. Allerdings war kurz vorher die erste Streckenverpflegung, und kaum dass ich ein paar Schluck Wasser getrunken hatte, meldete sich mein Magen: "Du, nee, das passt mir jetzt aber gar nicht mit dem Wasser da!" Und von da an bis zum Schreiben dieses Blogposts zickte er nur noch rum. Ich habe eine Magen-Diva!

Egal, dachte ich, das Tempo ist gut, die Beine fühlen sich gut an, die Hüfte macht keinen Ärger, es läuft. Jetzt kamen die Landungsbrücken, und die Kulisse der Zuschauer, wie sie da so überall auf den Mauern, Strassen und Brücken stehen, ist immer wieder so beeindruckend, dass ich da mit einer Gänsehaut durchlaufe - und das bei dem Wetter, das mittlerweile deutlich spürbar heißer wurde in der Sonne. Der Tunnel, der da irgendwo beim Hauptbahnhof ist, und durch den wir dann zur Bnnenalster kamen, war noch das Angenehmste, weil Kühlste, auf der Strecke.

Jungfernstieg, Kilometer 15: Die Sonne scheint, das Haar sitzt, der Läufer läuft. An der Außenalster entlang bis kurz nach dem Feenteich liefen wir, die Halbmarathonzeit wurde dann irgendwo in Barmbek-Süd genommen. Hier sind unsere Zeiten bis Halbmarathon:


Zwischen-
zeit
5-km-Zeitmin/km
km 520'3920'394'07,8
km 1041'0220'234'04,6
km 151:01'4820'464'09,2
km 201:22'2820'404'08,0
km 21,095
1:27'04-4'07,6

So weit, so schnell. Die Magenschmerzen wurden jedoch dummerweise nicht weniger, bis ich bei Kilometer 23 dermaßen Stiche in der Magengegend verspürte, dass ich kurz gehen musste. Das ist immer so eine dumme Abhängigkeitssache mit den inneren Organen: Wenn der Magen krampft, dann macht er der Lunge keinen Platz mehr, was hindert am lockeren Atmen. Und wenn man nicht locker atmet, dann findet das der eh schon verkrampfte Magen nicht gut. Ein Teufelskreis.

Holger lief dann weiter und Matthias blieb bei mir. Er kann wirklich sehr gut zureden, wenn's einem dreckig geht, und egal ob's das Stückchen Traubenzucker oder seine zuckersüßen Worte waren: Ich raffte mich nochmal auf und lief weiter.

Und Matthias redete in einem fort: Ich solle kräftig ausatmen, den Schmerz wegatmen, den Schmerz nicht wahrnehmen, der sei nur in meinem Kopf. Immerhin habe ich mich dann so sehr bemüht, seinen Anweisungen zu folgen, dass ich nicht mehr so auf den Scherz geachtet habe, und so liefen wir bis etwa Kilometer 28, wo es mich dann total dahinraffte. Die folgende Tabelle zeigt, wie's danach weiterging:


Zwischen-
zeit
5-km-Zeitmin/km
km 25
1:44'2421'544'22,8
km 302:13'1428'505'46,0
km 352:45'1932'056'25,0
km 403:28'5533'366'43,2
km 42,195
3:50'19-5'27,5

Da kann man's nun deutlich sehen: Bis Kilometer 25 ist's trotz Gehpause und langsamem Weiterlaufen noch im grünen Bereich, und auch bis Kilometer 28 war noch alles für unter 3:00 h ungefährlich, doch dann wurden die Gehpausen eher von den Laufphasen unterbrochen als umgekehrt, und das Tempo sank gen 6'00 und drüber. Tatsächlich konnte ich mich noch immer wieder aufraffen, um ein paar hundert Meter zu laufen, doch dann meckerte der Magen und stach mit Messern wild um sich.

Bislang habe ich nur einen einzigen Marathon oder Ultra abgebrochen. Das hat mir dann drei Wochen später in Hamburg zwar meine (leider immer noch bestehende) momentane Bestzeit eingebracht, doch wird das auch immer ein Fleck sein auf meiner ansonsten makellosen Finisher-Weste. Und dieser Fleck hat mich dann auch heute wieder an meinen Vorsatz erinnert, nie wieder einen Marathon abzubrechen, komme was da wolle.

So ein Vorsatz ist super, wenn man sich immer wieder fragt "Warum machst Du den Mist noch? Du schaffst die Bestzeit doch eh nicht mehr, und genießen kannst Du den Lauf auch nicht mehr (weil Du Messer in der Magen-Diva hast)! Hör' doch einfach auf und steig da vorne in die U-Bahn..." Verlockend, aber chancenlos gegen gute Vorsätze.

Also genoss ich das Gehen/Laufen, so gut das eben geht. Immerhin: Tolles Wetter, wenn man keine Bestzeit mehr anpeilt. Alle 100 m etwa lag ein Läufer am Boden, dehydriert, KO, fertig mit sich, dem Lauf und der Welt. Die, die nicht mehr bei Bewusstsein waren, wurden von Sanitätern untersucht. Kriegsgebiet in der Rotenbaumchaussee.

So ging ich denn über die Videopunkte bei km 30 und km 35 - sieht richtig beschwerdefrei aus, oder? Ich trug ein blaues T-Shirt, Sonnebrille und war der, der ganz rechts ging. Und konnte mich ab und an noch aufraffen, für jeweils ein paar hundert Meter so zu tun, als könnte ich laufen. Ohne die vielen Anfeuerungen der Zuschauer wäre ich bestimmt noch viel später ins Ziel gekommen. Die Zuschauer schauen sich teilweise gezielt Geher aus, um dann den Namen von der Startnummer abzulesen und dann massivst motivierend auf den Kraftlosen einzubrüllen, als ob der Schall alleine ihn antreiben könnte. Man versucht schon aus Angst, dass die gleich über die Absperrung springen und handgreiflich werden könnten, zumindest ein paar Schritte in Trab zu verfallen. Und trabt man dann tatsächlich an, dann bricht die Meute in frenetischen Jubel und Begeisterung aus. Herrlich!

Bei 3:50'19 h bleibt also meine Netto-Marathon-Zeit stehen. Meine Halbmarathon-Bestzeit, vor ein paar Wochen erst aufgestellt, war 1:26'44 h - nur 20 Sekunden besser als die erste Hälfte dieses Marathons. Sicherlich bin ich auch zu schnell angegangen, aber so schlimm war's dann doch noch nimmer. Auf dem letzten Drittel habe ich über eine Stunde verloren!

Man kann meine Zielzeit auch anders verdeutlichen: Im Zielbereich sonnten sich bereits Matthias und Holger - massiert und frisch geduscht (siehe Foto unten). Matthias kam in 2:59'54 h ins Ziel. Das tut weh, denn wenn ich an meinem Hasen drangeblieben wäre, dann wäre das meine Zeit gewesen. Holger konnte sogar noch eine 2:54er-Zeit erlaufen. Das wäre meine Zeit gewesen, wenn ich das Tempo der ersten Hälfte hätte durchhalten können. Hätte, wäre, könnte, egal.


Die Massage konnte ich knicken: Wo 3-h-Läufer sich einfach auf die Bahre legen können, da steht vor dem Fast-4-h-Läufer eine 10-Personen-Warteschlange. Und auch beim Duschen wird man an seine Niederlage erinnert: "Warmes Wasser? Ist vor 30 Minuten ausgegangen!"

Nach dem Duschen trach ich einen Verrückten, der um 4 h rum lief in voller Nonnentracht (siehe Foto rechts) - schwarzer Baumwollstoff, bei dem Wetter!

Kurzretrospektiven samt Ursachenforschung bei McDonalds beendeten dieses Laufevent offiziell: Klar war die Sonne ein Problem (immerhin habe ich mir einen leichten Sonnebrand auf den Oberarmen geholt), und wenn's so war, dann ist das halt so. Wetter hat man nicht im Griff. Andere Möglichkeit: Ich habe mir einfach zu viel vorgenommen (Hamburg und Biel) und zu wenig getan. Letzteres beinhaltet, dass ich keine adäquaten Zeiten bei Wettkämpfen über 10 km und Halbmarathon vorweisen kann. Das stimmt, bin ich doch in den letzten drei Jahren diese Distanzen fast ausschließlich in der Vorbereitung und aus dem Training heraus gelaufen. Ausdauer ist nicht das Problem, denn ich war schon nach dem Duschen wieder relativ fit und außer ein wenig Muskelkater in den Oberschenkeln hat der Marathon auch keine Spuren hinterlassen.

Nun denn, wenn denn wirklich das mangelhafte Tempo über Kurzdistanzen die Ursache für den Einbruchen sind, dann muss ich fürs nächste Mal andere Voraussetzungen schaffen: Holger und Matthias habe ich bis Jahresende eine 1:25 h im Halbmarathon und eine 36'00 min über 10 km versprochen. Meine aktuellen Bestzeiten sind 1:26'44 h bzw. 38'09 min., wobei die 10er-Bestzeit mit 300 Höhenmeter erreicht wurden. Die Steigerungen sollten machbar sein. Ergo wird's keinen Herbstmarathon, geben, sondern einige 10er und zwei oder drei Halbe, bis das Ergebnis stimmt. Aber das wird erstmal nach Biel angegangen.

Danke an Marko und Gerd fürs Zuschauen (habt Ihr mich gesehen?). Danke an Holger fürs "spontane" Mitlaufen. Danke an Ute, Wille und Jessie für Kost, Logis, Zuspruch und Unterstützung. Danke an Jorina fürs gute Zuhören.

Und natürlich einen ganz großen Dank an Matthias für den Hasen, für das tolle Wochenende und einfach dafür, dass es Dich gibt!

Update 01.05.2008: Matthias' und Holgers Laufverbund SpeedAlliance berichtet auch vom Hamburger Marathon.

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