Sonntag, 29. Juni 2008

Dieser Blog ist tot. Ich blogge weiter auf dem «Agile Trail».

Auf und Ab beim Fidelitas Nachtlauf

Vor zwei Wochen habe ich Biel abgebrochen bei km 76,6 von 100 insgesamt. Das kann man ja nicht so auf sich sitzen lassen, dachte ich mir - und bin zwei Wochen später, heute, beim Karlsruher Fidelitas Nachtlauf in Karlsruhe gestartet, einem Ultramarathon von 80 km Länge.

Auf: Wer nur auf einen 100er trainiert und davon nur etwa Dreiviertel läuft, der hat noch Reserven. Ergo entschied ich mich für den Ultra, der meinem Wohnort am nächsten liegt: etwa 6 km von meine Zuhause ist Start und Ziel vom Karlsruher Nachtlauf. Da muss man ja mitmachen.

Ab: Vor knapp einem Jahr hatte ich zuerst ziemlich starke Schmerzen im Fuß und danach in der Hüfte bekommen, etwa in der Zeit nach meinem damaligen Biel-100er. Das hat sich dann bis Weihnachten hingezogen, an regelmäßiges Training war nicht mehr zu denken. Erst durch viel physiotherapeutische Behandlung und Krafttraining habe ich die Schmerzen in den Griff bekommen, bis ich dann Ostern diesen Jahres darüber hinweg war.
Die Ursache der Hüftschmerzen blieben bis dato im Verborgenen, einen Zusammenhang mit Bahn- und Tempotraining hatte ich vermutet. Da ich dieses Jahr noch persönliche Bestzeiten auf der 10-km-Strecke und im Halbmarathon plane, bin ich letzte Woche Mittwoch auf die Bahn gegangen, 16 x 400 m mit 200 m Trabpausen - das erste Mal auf der Bahn nach fast einem Jahr Abstinenz. Und danach hatte ich zuerst Fuß- und dann Hüftschmerzen...
Scheiße, dachte ich da. Die Schmerzen wurden immer schlimmer im Laufe der Woche vor dem 80er, und ich konnte mir nicht erklären, woran das liegen könnte. Innerlich hatte ich am Donnerstag vor dem 80er schon mit dem Wettkampf abgeschlossen und mich bis Weihnachten mit Trainingsausfall konfrontiert gesehen.

Auf: Die Einlagen sind's! Das ist unglaublich! Ich trage seit 4 Jahren orthopädische Einlagen, weil ich Senk-Spreiz-Hohlfüsse (oder so) habe, und damals wurde mir gesagt, dass man damit ja nicht laufen können, zumindest nicht ohne Einlagen. Die Einlagen erhöhen meine Ferse um etwa einen Zentimeter, so dass die Belastung für den Fußrücken nicht so extrem sein sollte. Diese Erhöhung ist nicht linear von den Zehen bis zur Ferse ansteigend, sondern beschreibt eine geschwungene Kurve. Der Wendepunkt der Kurve sollte über den Fußspann meinen Fußrücken stärken. Wenn ich nun aber auf Tempo laufe, dann stoße ich mich viel stärker vom Boden ab, als wenn ich normal laufe, dann drückt mir dieser Wendepunkt viel stärker in den Spann. Daher kommen die Fußschmerzen. Die Schmerzen sind auf der Fußinnenseite stärker als auf der Außenseite, da die Einlagen auf der Fußinnenseite etwas höher gebaut sind und der Fuß an dieser Stelle sozusagen den intensivsten Kontakt hat. Wenn es nun auf der Fußinnenseite unangenehm war beim Laufen - auch nach dem Bahntraining, also beim ganz normalen Kilometerrunterspulen - , ich auf der Fußinnenseite also ein Druckgefühl verspürte, dann lief ich mehr auf der Außenseite, drückte mein komplettes Bein mehr nach Außen und, voilá, bekam Hüftschmerzen!
Wenn denn die Einlagen an meinen Schmerzen Schuld sind: Weg mit den Einlagen! Extrem, aber der einzig logische Schluss.
Nun muss man wissen, dass es gewisse Don'ts gibt für einen Wettkampf: Laufe nicht zu schnell los am Anfang, kleb' Dir die Brustwarzen ab, laufe nie in neuen Schuhen usw. Wenn man die orthopädischen Einlagen gegen die Herstellereinlagen (die sind total flach, nix mit Orthopädisch) austauscht, dann ist das quasi ein neuer Schuh mit völlig anderem Laufverhalten.
Am Freitag vor dem 80er bin ich 8 km in Schuhen mit normalen Einlagen gelaufen, ohne Probleme. Am Samstag bin ich den 80er in Schuhen mit normalen Einlagen gelaufen - auch ohne Probleme! Bin immer noch total überwältigt, dass das so geklappt hat.

Ab: Am Freitag hatte ich Kopfschmerzen, fast den ganzen Tag lang. Keine Ahnung, warum, vielleicht das schwüle Wetter und die stickige Luft in Karlsruhe. Keine guten Vorzeichen für den 80er.

Auf: Am Samstag fühlte ich mich wieder ganz gut.

Ab: Um 16 h bin ich bei der Veranstaltung aufgekreuzt, Start sollte um 17 h sein. Bis 16:40 h habe ich in der Schlange für die Voranmelder gestanden, die von genau einem (!) Helfer abgearbeitet wurde; ich vermute, dass die Letzten in der Anmeldeschlange nicht mehr rechtzeitig zum Start gekommen sind. Hätte ich mich nicht in der Schlange umgezogen und für den Start vorbereitet, wie einige andere das auch taten, dann wäre ich wohl auch nicht mehr rechtzeitig zum Start gekommen. Schlechte Organisation!

Auf: Der Start verlief gut und nach 5 km lobte mich eine andere Läuferin. Sie müsse unbedingt mal ein Kompliment loswerden, mein Laufstil sei einer der besten, den sie je gesehen hätte. Aufgrund dessen, dass ich auf den folgenden Kilometern ihre komplette Lebenssituation zu hören bekam, könnte sich das Kompliment natürlich auch um einen sehr gut berechneten Gesprächseinstieg gehandelt haben ;-) Trotzdem hat das Kompliment seine Wirkung nicht verfehlt, habe ich ähnliches doch noch nie gesagt bekommen, als ich noch mit Einlagen lief.

Ab: Es war heiß: beim Start 27 °C, in der Nacht nicht unter 20° C. Blöderweise verläuft die Strecke hauptsächlich nach Einbruch der Dunkelheit im Wald, wo man am Tage den Schatten hätte genießen können. Mit 20 Verpflegungsstationen konnte ich aber trotz der Hitze jederzeit ausreichend trinken.

Auf: km 20 kam - und ich konnte noch laufen, ziemlich gut sogar! Im Vorfeld habe ich damit gerechnet, maximal bis km 20 zu kommen, und dann mit Hüftschmerzen abbrechen zu müssen. Die Hüfte war zwar nicht ganz ruhig - dafür war sie in den Tagen davor zu sehr gereizt worden -, aber es war wirklich sehr gut auszuhalten, und es ist nicht schlimmer geworden.

Ab: In Mutschelbach, km 39,9, war die zweite Wechselstelle der Etappenläufer, die die gleiche Strecke wie die Ultras liefen. Das Publikum war super, Spalierlaufen mit Jubel war angesagt - aber dadurch habe ich die Verpflegungsstelle übersehen! Nicht so gut, wenn man 10 km ohne Flüssigkeit läuft. Folglich hatte ich dann auch richtig Durst vorm nächsten Verpflegungsposten. Durst zu haben sollte man während des Laufs vermeiden, denn es bedeutet, bereits dehydriert zu sein, ein Zustand, den man nicht haben will, weil leistungsmindernt. Es brauchte einige Gehminuten, bis ich genug Flüssigkeit verarbeitet hatte, um weiterzumachen.

Auf: km 50 und ich bin, wie in Biel, mit 4:29 h in einer guten Zeit unterwegs. Hätte ich das bis ins Ziel durchgehalten, dann wäre da eine Zeit von 7:10 bis 7:15 h herausgekommen. Ich rief Jorina an, die ich als Stirnlampenbringerin bei km 62,6 in Marxzell verpflichten konnte, und teilte ihr mit, dass ich in etwa einer Stunde in Marxzell sein würde.

Ab: Und dann kam - wieder mal - der Magen dran. Diesmal war ich aber vorbereitet, zumindest scheinbar. Auf Empfehlung eines auf Magen-Darm-Sachen spezialisierten Arztes habe ich Buscopan ausprobiert, ein den Magen entkrampfendes Zeug. Eine Tablette habe ich vor dem Start genommen, eine zweite bei km 30, eine dritte bei km 50. Trotzdem hatte ich immer wieder Probleme beim Bergablaufen, wo sich jede Erschütterung wie ein Messerstich in meine Gedärme grub. Ätzend! Bei diesem meinem Magenproblem scheine ich noch immer nicht den entscheidenden Hinweis gefunden zu haben. Weitersuchen!

Auf: Nach meiner persönlichen Magen-Darm-Odyssee kam ich endlich kurz vor Marxzell mit mir überein, dass ich nicht abbreche, sondern durchlaufe/-gehe. Bernd vs. Magen: 1:10 durch Anschlusstreffer kurz vor Marxzell; dieser eine Punkt war entscheidend :-)
In Marxzell sah mich Jorina sofort, wir tauschten Schirmcappy gegen Stirnlampe und ich lief den Graf-Rhena-Weg gen Ettlingen, den ich so oft schon im Training zuvor gelaufen bin.

Ab: Ich musste immer häufiger gehen, weil der Magen einfach nicht mitmachen wollte. Orthopädisch klappte alles bestens, die Beine waren auch noch nicht müde, aber die Magen-Darm-Gegend nahm mir jede nicht ganz so sanft genommene Bodenunebenheit übel. Ich rechnte mir aus, dass ich ins Ziel kommen sollte in unter 8 h, und das war ja schon immerhin ein kleiner Trost. Wäre da nicht diese verhängnisvolle Kreuzung in Ettlingen gewesen...
Die Streckenführung war mangelhaft, aber das hatte ich schon aus Laufberichten der Vorjahre gelesen. Kleine weiße Pfeile auf dem Boden sollten den Weg weisen, nur fehlten die Pfeile sehr oft, meist gerade an Spitzkehren, wo man dann gerne dem Weg geradeaus folgt, anstatt abzubiegen. Zusätzlich zu den kleinen weißen Pfeilen gibt es noch Bändsel, also Stücke von rot-weiß-gestreiftem Absperrband, die auf der Laufstrecke in Bäumen hingen oder um Laternenpfähle gebunden waren. Das dumme daran: Wer auch immer etwas abzusperren hat, der nimmt rot-weiß-gestreiftes Absperrband, wie man es in jedem Baumarkt bekommen kann! Und so konnte die Parole, die noch beim Start ausgegeben wurde, nicht wirklich eingehalten werden: "Wenn Du irgendwo abzweigst und Du siehst die Bändsel, dann weißt Du, dass Du noch richtig läufst - ansonsten kehre um!"
In Ettlingen lief der Läufer vor mir rechts statt links an der Kreuzung, an der es keine weißen Pfeile und keine rot-weiß-gestreiften Bändsel gab, und ich lief hinterher, und hinter mir kamen noch zwei andere mit gelaufen. Ein paar hundert Meter später sahen wir ein rot-weiß-gestreiftes Bändsel, und schlossen messerscharf: Alles ist gut. Nach eineinhalb Kilometern ab der ungekennzeichneten Kreuzung hielt mit quietschenden Reifen ein Auto neben uns: "Hey, ihr seit falsch!" Der Umweg betrug 3 Kilometer, ade 8-h-Zielzeit.

Auf: Psychisch doch arg angeschlagen wegen des Umwegs quatschte ich mich drei Kilometer vorm Ziel bei der fünften Frau fest - und prompt verliefen wir uns. Ein anderer Läufer - ziemlich fertig mit sich und der Welt, Puls bei 190, dies sein dritter Ultra in zwei Wochen - folgte uns in seiner Trance, und so standen wir dann irgendwann um 1:00 h nachts mitten auf einer Kreuzung und wussten weder, woher wir gekommen waren, noch, wo wir jetzt hin sollten. Hilfsbereite Fußgänger fragten wir nach dem Weg (die Blicke sind cool, so eine Mischung aus Angst und "Du Schatz, sei vorsichtig, die sind total Gaga!"), und nach einem weiteren Kilometer kamen wir von der völlig falschen Seite zum Stadion, wo der Zieleinlauf war. Später erfuhren wir, dass sich sehr viele Läufer auf den letzten Kilometern verlaufen hatten: Aus vier Richtungen wurde das Ziel gestürmt!

Das Auf und Ab hat ein Ende: Nach 8:28'42 h bin ich dann auch noch ins Ziel gekommen. Ergebnislisten finden sich hier (meine Startnummer war 129). Platz 57 von 163 Zieleinläufern, in der Alterklasse Platz 17 von 33 M30-Zieleinläufern. Entweder, der Lauf ist wirklich so gut besetzt (Siegerzeit unglaubliche 5:38'29 h, mehr als 40 Minuten herausgelaufen auf den 2. Platz), oder ich war wirklich so schlecht ;-)

Der Lauf, verglichen mit Biel, ist deutlich schwerer, und das sagen nicht nur meine Knochen, Gelenke und Muskeln 24 h später. Die Steigungen sind heftiger und die Streckenführung total bekloppt bis hin zu "schlicht nicht vorhanden" (im Nachhinein finde ich es erstaunlich, dass ich mich "nur" um 4 Kilometer verlaufen habe). Insgesamt sind auch mehr Höhenmeter als in Biel angefallen: der Bieler 100er hat 600 hm, der Karlsruher 80er hat 780 hm. Macht 6 hm/km in Biel, aber 9,75 hm/km in Karlsruhe, und damit ist Karlsruhe schon eine Ecke heftiger.

Klar, wegen der Magen-Darm-Geschichte ist's keine gute Zeit bei mir geworden, aber immerhin habe ich Erkenntnisse bzgl. der Einlagen gewonnen, und das freut mich überaus, denn es bedeutet, dass ich wieder Bahntraining machen kann. Und wenn man für diese Erkenntnis 80 km laufen muss, dann ist das halt so :-)

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