Dieser Blog ist tot. Ich blogge weiter auf dem «Agile Trail».
[Biel < 9] Dreiviertel Biel 2008 - das zweite Mal
Auf einem 100er kann vieles nicht so laufen, wie man sich das vorgestellt hat. Da können einige Probleme auf einen zukommen. Man hat auch genügend Zeit, über Lösungen nachzudenken. Mir war das dann irgendwann zu langweilig...
Zu Anfang, wie so oft, passte einfach alles: Das Wetter war kalt, nachts bis zu 5° C, aber trocken. Ich war gut erholt dank Urlaub in den Tagen vor Biel. Mein Vater begleitete mich als Coach und fuhr mit unserem Wohnmobil nach Kirchberg (nach der 2. Teilstrecke bei km 56) und nach Bibern (nach der 3. Teilstrecke bei km 76,6). Und ich war gut drauf, psychisch und physisch.
Dem Start um 22:00 h am Freitag, den 13. (!) 06.2008, folgte ein viel zu schneller Start auf den ersten drei Kilometern. Aber das kannte ich schon vom letzten Jahr, da war das genauso. Kein Grund zur Panik. Ab Kilometer 4 hatte ich mein Wohlfühl- und Wettkampftempo erreicht: knapp über 5'00 min/km.
Um 100km unter 9 Stunden zu laufen darf man im Schnitt nicht unter 5'24 min kommen. Biel hat allerdings auch 600 Höhenmeter, die es zu bewältigen gibt, und bergauf dauert's halt länger als im Flachen. Am Ende ist man auch immer etwas langsamer als zu Beginn. Daher ist es nicht unbedingt ratsam, genau den Schnitt zu laufen, wenn man seine Zielzeit einhalten möchte.
Knapp über 5'00 min/km fühlte sich von Anfang an sehr gut an. Ich konnte locker laufen, ruhig atmen, der Puls war unter 140, es ging mir gut. 10, 20, 30, 40 km, kein Anzeichen von Problemen. Dann kam der 44. Kilometer.
Einen 100er zu laufen ist ein so komplexes Unterfangen mit so vielen Variablen, die es zu berücksichtigen gilt, dass man sich unmöglich auf alles vorbereiten kann. Trifft man dann auf ein Problem unvorbereitet, dann denkt man etwa: "Huch, was ziept denn da so, was könnte das sein...?!" und dann denkt man darauf rum. Denken kostet Energie, und es lenkt vom Wettkampf ab. Das kann ganz nett sein, wenn man sich denn ablenken möchte. Bei Kilometer 44 dachte ich "Och nö, nicht schon wieder...!" Ich hatte Magenkrämpfe. Und dann dachte ich darauf rum.
Der Magenkrampf kam sowas von aus dem Nichts, dass ich innerhalb von ein paar hundert Metern nicht mehr weiterlaufen konnte. Bis Kilometer 46 bin ich gegangen, habe Atemübungen gemacht und die betroffene Stelle massiert. Nach zwei Gehkilometern war der Schmerz wieder soweit erträglich, dass ich ihn überlaufen konnte.
Bei Kilometer 44 hatte ich etwa 10 Minuten Vorsprung herausgelaufen, die dann durch das Gehen bis km 50 auf knapp 4 Minuten geschrumpft sind. Dennoch: Wäre das ein offizieller 50er gewesen, so hätte ich nun eine neue Persönliche Bestzeit von 4:26'07 h gehabt. Immerhin.
Bei einem Ultra muss man stetig essen und trinken, sonst kippt man irgendwann aus den Latschen, weil man keine Energie mehr hat. Das ist mir letztes Jahr in Biel passiert bei km 56. Das nennt sich dann Hungerast und ist sehr unangenehm.
Km 56 kam, eine große Verpflegungsstation in Kirchbach, und ich hatte keinen Hungerast. Soweit okay. Mein Vater war zur Stelle, und es tat sehr gut, ein vertrautes Gesicht zu sehen. Noch etwas essen und trinken und dann sollte es weitergehen - wenn ich denn einen Bissen hätte schlucken können. Ich habe nichts mehr runterbekommen, der Magen hat einfach dicht gemacht. Mist.
Gleich nach Kirchberg geht's auf den Damm der Emme, dem berühmt-berüchtigten Ho-Chi-Minh-Pfad. Dort stolperte ich über Wurzeln, Steine und Schlaglöcher. Zum Glück war es trocken und nicht so glitschig wie im letzten Jahr. Aber jede übersehene Unebenheit - tiefste Nacht so um 3:00 Uhr rum - wurde mit einer magenbelastenden Erschütterung quittiert.
Bis etwa km 67 oder 68 habe ich dann noch durchgehalten, doch da ging dann gar nichts mehr. Ohne Nahrung hat der Motor keinen Treibstoff, und Krämpfe in den Oberschenkeln haben mir dann den Rest gegeben. Zweite Gehpause.
Doch leider wurde es diesmal nach zwei Kilometern nicht besser. Alle paar Kilometer habe ich einen neuen Anlaufversuch unternommen, aber mein Magen reagierte auf die sanfteste Laufbewegung mit Messerstichen und so ging ich denn immer weiter bis Bibern bei km 76,6, wo ich dann ausstieg.
Die Rechnung für den Ausstieg war recht einfach: Für die letzten 5 km habe ich 50 Minuten gebraucht, also 10 Minuten pro Kilometer. Hätte bis ins Ziel ab Bibern noch etwa 4,5 Stunden gemacht. Wie langweilig, so lange zu gehen. Aber das war nicht das Entscheidende: Ohne Nahrungsaufnahme wäre das einfach nicht mehr machbar gewesen.
Jetzt könnte man noch einwerfen: "Warum bist Du denn nicht in Bibern geblieben, hättest Dich auf einer Bahre hingelegt und dann nach ein oder zwei Stunden Pause den Rest der Strecke ausgeruht in Angriff genommen?" Das war auch meine Befürchtung nach dem Abbruch, doch die Gewissensbisse, vorschnell abgebrochen haben zu können, verflogen dann schnell. Bis zum Abend sind die Krämpfe noch geblieben, sogar am nächsten Tag hatte ich Magenschmerzen bei einem kleinen 5-km-Regenerationsläufchen. Da hätte eine Pause in Bibern nicht mehr viel gebracht. Aussteigen war hier eine gute Wahl.
In Bibern wartete mein Vater auf mich und wir fuhren dann erstmal zum Schlafen zurück nach Biel, später abends dann nach Hause. Rein orthopädisch ging's mir super: Kein Ischiasschmerz, kein Wadenbeißen, noch nicht einmal eine Blase am Fuß.
76,6 km, auch ein Ultra, wenn auch nicht die Königsdisziplin. Immerhin. Meine Zeit nach der dritten Teilstrecke in Bibern: 7:59'16 h. Immerhin. Muss mich mal umschauen, wo ich demnächst meine eingesparten Energiereserven (23,4 km bin ich mir ja noch schuldig) loswerden kann.