San Francisco Marathon 2008: Langer Anlauf und 42,195 km Spurten
Endlich im Ziel: Nach 3:26'49 h beendete ich das Unternehmen "San Francisco Marathon". Insgesamt hat das auch nur knapp 48 Stunden gedauert...
Es ist Mittwoch Abend. Es sind noch 4 Tage bis zum Marathon in Übersee. Jorina hat ihre Sachen schon halb gepackt. In den Nachrichten hören wir ständig von den Streiks der Lufthansa, doch bislang seien die Langstreckenflüge nicht davon betroffen, sagen sie. Johannes fragt per Skype, ob unser Flieger fliegen würde, seiner hätte Verspätung. Er fliegt auch übern Teich am Samstag, genau wie wir, allerdings nach Toronto, nicht nach San Francisco. Er fliegt aber auch per Lufthansa. Auf der Website der Lufthansa sind die Flüge aufgelistet, die garantiert fliegen werden. Die Liste zeigt alle Flieger bis einschließlich Freitag. Die Liste ist sehr lang. Wir machen uns keine Sorgen, dass unser Flieger auch fliegen wird. Natürlich fliegt der, warum sollte ausgerechnet der nicht fliegen?
Es ist Donnerstag Abend. Es sind noch 3 Tage bis zum Marathon. Jorina fragt, ob unser Flug jetzt auf der Liste mit den sicheren Flügen stehen würden. Ich schaue nach. Er steht nicht auf der Liste. Hm. Auf der Website kann man seine Flugnummer eingeben und den Status des Fluges herausfinden. "Canceled" lautet der Status unseres Fluges. Die Hotline nimmt nach etwa 30 Minuten meinen Anruf entgegen. Ziemlich abgefahrene Flugplanungen lasse ich mir durchgeben, ohne dass eine für uns passende dabei wäre: "Herr Schiffer, am Freitag Abend könnte ich Sie nach London bekommen, von Frankfurt aus. In London könnten Sie dann Freitag Nacht weiter nach Dubai fliegen, aber von dort könnten Sie dann nicht mehr weiterkommen... Nee, das machen wir anders: Samstag früh fliegen Sie von Stuttgart nach Tokio. Von dort könnten Sie eine Maschine nach Hawaii nehmen, von dort dann nach Chicago. Ach Mist, von Chicago geht ja gar nichts mehr Richtung Westküste..." Das geht lange so weiter. Fast lustig, wenn man nicht selbst davon betroffen wäre. Ergebnis aller Flugpermuationen: Wir sollen so früh wie möglich zum Frankfurter Flughafen kommen, damit das dortige Personal am Schalter, das viel bessere Einsichten hätte als das von der Hotline, uns eine Verbindung nach San Francisco raussuchen könnte. Gut wäre, wenn wir schon am Freitag zum Flughafen kommen könnten, nicht erst am Samstag, dann wären unsere Chancen besser.
Es ist Freitag Abend. Es sind noch zwei Tage bis zum Marathon. Wir sind per Bahn auf dem Weg zum Flughafen. Das Packen meiner Sachen habe ich in der Nacht von Donnerstag auf Freitag erledigt, statt in Ruhe heute Abend. Am Frankfurter Flughafen sucht uns der Schaltermensch eine Flugverbindung am Samstag morgen raus: Frankfurt - Los Angeles - San Francisco. Na, geht doch. Wir übernachten in Frankfurt auf Kosten der Lufthansa im Intercity Hotel. Am nächsten Morgen um 9:20 h soll es losgehen, geflogen sind wir dann allerdings erst irgendwann nach 10 h. Da wir auf "Standby" waren, also die Sitze bekommen haben, die frei werden, weil sie von anderen gebucht werden, die doch nicht fliegen können, haben wir Sitze in der Business Class bekommen. Na, geht doch.
Es ist Samstag Abend. Irgendwie. Jet Lag. Eigentlich ist es jetzt Samstag Mittag, kurz vor 1 pm. Es ist noch ein Tag bis zum Marathon. Wir sind in Los Angeles. Wir lassen die Immigration über uns ergehen, holen unser Gepäck ab, gehen vom Ankunfts- zum Abflugterminal und geben unser Gepäck wieder auf. Wir werden zufällig ausgesucht zur Picky-of-the-Year-Investigation und werden von Kopf bis Fuß überprüft, inklusive Sprengstoff-Lackmus-Test. Unser Flieger von LA soll um 3:30 pm gehen, hat aber Verspätung und geht erst um 7:42 pm. Irgendwann um 10 pm landen wir in LA. Unser Gepäck flog teilweise mit einer anderen Maschine, die noch mehr Verspätung hatte als unsere, und daher warten wir noch eine knappe Stunde in der Gepäckhalle.
Es ist Sonntag Morgen. Es sind noch fünfeinhalb Stunden bis zum Marathon. Wir sind in San Francisco und warten in einer langen Schlange auf unseren Mietwagen. Gegen 2 am haben wir ihn endlich und fahren vom Flughafen ins Hotel. Dort angekommen checken wir ein, schleppen das Gepäck aufs Zimmer und packen das Nötigste aus. Um 3 am mache ich für eine Stunde das Licht aus und meine Augen zu - um 4 am klingelt der Wecker und ich mache mich fertig für den Marathon.
Es ist Sonntag Morgen, schon wieder. Es sind noch eineinhalb Stunden bis zum Marathon. Ich bin im Hotel. Ich schnappe mir meine Sachen und gehe ca. 2 Meilen vom Hotel bis zum Start-/Ziel-Bereich des Marathons. Eigentlich wollte ich am Vortage auf der Expo des Marathons meine Startnummer abholen, denn nur an den beiden Tagen vor dem Marathon war das möglich. Nun bange ich, ob es noch eine Chance für arme Streikbetroffene gibt, die Startnummer kurz vor dem Start zu bekommen. Gibt es - theoretisch! Denn mir wird gesagt, dass die Startnummern auf dem Weg sind, es aber Probleme gibt, da das Auto, in dem die Startnummern übernachtet haben, nicht zu öffnen ist, weil der Schlüssel unauffindbar ist. Na klasse. Wir haben 5 am und es sind noch 31 Minuten bis zum Start. Ich mache mich vollends fertig zum Start und freue mich, als um 5:20 am die Startnummern eintreffen. Um 5:25 am habe ich die Startnummer am Laibchen festgepinnt und mir den Chip in die Schnürsenkel geklebt. Ich wetze vom Registration Point zum Start und komme dort um 5:32 am an, eine Minute zu spät. Ich springe über die Absperrung für die Besucher und erwische gerade noch das Ende meiner Welle (3:00-h- bis 3:30-h-Läufer) - puh, knapp, aber geschafft. Hab' da jetzt ja schon eine gewisse Übung in Blitzstarts...
Ich schalte um von Vorbereitung auf Durchführung. Im Vorfeld bin ich die Szenarien vom Angriff auf meine Persönliche Bestzeit bis zum gemütlichen Sight-Seeing-Lauf durchgegangen, wobei mir jetzt eher nach Sight-Seeing als nach Angriff ist. Seit meinem Bühlertal-Lauf vor drei Wochen habe ich Schmerzen in der rechten Patellasehne - ein typisches Springerknie. Bin wohl zu schnell zu schnell geworden, habe also in zu kurzer Zeit mein Bahntraining zu stark ausgebaut. Das Ergebnis war, dass ich schon bei leichten Läufen relativ starke Schmerzen ober- und unterhalb der Patellasehne habe. Die Woche vor dem San-Francisco-Marathon bin ich nur knapp 20 km gelaufen, habe aber viel gedehnt und massiert, damit ich den Marathon überhaupt noch laufen kann. Jetzt teste ich gleich zu Beginn des Marathons mal kurz die Persönliche-Bestzeit-Unterbietungs-Zeit an - nee, tut weh, das lasse ich mal lieber mit der Bestzeit heute. Lieber das Knie schonen, damit ich bald wieder fit bin. Abgesehen mal vom Knie: Die Anreise dauerte mehr als 48 Stunden, und auch mit der Business Class war das doch sehr anstrengend und schlafraubend, so dass ich bestimmt nicht fit für eine neue Bestzeit bin.
Also kann ich jetzt den Lauf endlich genießen. Ich laufe am Hafen entlang, und schon nach 2 Meilen kann ich das Ex-Gefängnis auf Alcatraz und die Golden Gate Bridge sehen. Beides steckt in tiefem Nebel, von der Brücke sieht man nur die untere Hälfte. Der Anblick ist dennoch wunderschön, denn die Brücke ist noch beleuchtet (es ist immer noch tiefste Nacht um 5:30 am) und sieht einfach toll aus. Langsam wird es hell, aber der Nebel weicht nicht und ich laufe in einer grauen Suppe vor mich hin. Oha, und da kommt auch schon die erste Steigung, ziemlich knackig, aber kurz. Bis zum Beginn der Brücke soll es davon noch ein paar geben - einige Läufer gehen diese Abschnitte lieber. Das Foto links zeigt so einen Anstieg (geschossen am Folgetag).
Kurz vor der Brücke hole ich meine Kamera raus und lasse sie im Video-Aufzeichnungs-Modus laufen. Das ist lustig: Die Zuschauer sind es nicht gewohnt, gefilmt zu werden, und schauen entsprechend irritiert. In der Mitte der Brücke ist ein Asiate so begeistert, gefilmt zu werden, dass er mich um meine Kamera bittet und zum Dank ein Foto von mir machen möchte. Die Brücke selbst ist langweilig. Man sieht kein Wasser, weil Nebel, man sieht nicht die Brückenpfeiler, weil Nebel. Eigentlich läuft man nur auf einer Straße, die einen leichten Hügel hinauf und wieder hinunter führt. Bei Meile 7,5 dreht die Masse eine kleine Runde und läuft wieder zurück über die Brücke nach San Francisco. Den Rückweg filme ich erneut, denn nun kommen mir die hinter mir laufenden Teilnehmer entgegen.
Auf dem Video hört man übrigens auch ziemlich deutlich den Wind auf der Brücke: Bei ca. 13° C ist der Wind aber trotzdem nicht unangenehm. Nach der Brücke geht es ein Stück durch die Stadt, immer wieder etwas rauf und wieder runter. Die Szenerie kenne ich aus Filmen und das surreale, jetzt quasi im Film zu laufen, lenkt gut ab.
Neben dem Marathon gibt es noch zwei Halbmarathon-Läufe ungefähr auf der gleichen Strecke wie der Marathon selbst, wobei man sich aussuchen konnte, welchen der beiden Hälften man läuft. Irgendwo zwischen Meile 13 und 15 im Golden Gate Park habe ich dann erneut gefilmt bis der Akku leer war. Die Parklandschaft ist die vierte komplett unterschiedliche Landschaft dieses Marathons bisher nach dem Hafen, der Brücke und dem Stadtteil nach der Brücke (Richmond Destrict). Hier ist jetzt alles grün und ruhig, sieht man mal von den Typen mit den Musikboxen ab, die hier alle paar Meilen für Abwechslung sorgen sollen.
Die Organisation ist sehr gut: Es stehen in kleinen Abständen die Wasserstationen zur Verfügung, wo es sogar teilweise Gel und Riegel gibt. Ab km 20 sind alle paar hundert Meter Schilder an Masten aufgestellt, auf denen Fragen und Antworten im Wechsel stehen, etwa "Nach wem wurde San Francisco benannt?" ("Franz von Assisi"), "In welcher Stadt gab Pink Floyd ihr San Francisco Abschiedskonzert?" ("San Francisco" - Scherzkekse!), "Wie schnell wurde in Rekordzeit eine Meile absolviert?" ("In 19,xxx Sekunden im freien Fall aus einem Flugzeug heraus"). Sehr ablenkend: Hat man eine Frage gelesen möchte man schnell zur Antwort kommen, hat man die Antwort gelesen möchte man schnell die nächste Frage sehen.
Nach dem Golden Gate Park ab Meile 19 geht es die restlichen 7 Meilen bergab zurück zum Hafen. Bergab trifft es tatsächlich: Statt der von mir vermuteten 200 Höhenmeter sind derer 340 am Ende geworden. Das ist übel in Kombination mit einem Springerknie: Bergab muss ich deutlich Fahrt herausnehmen, da mir jeder Schritt im Knie schmerzt. Erst auf den letzten paar Meilen kann ich noch etwas Zeit herausholen, will ich doch unter 3:30 h bleiben.
Insgesamt war dieser Marathon wunderbar: Er war abwechslungsreich, gut organisiert und auch vom Wetter her nahezu ideal zu laufen. Mir hat er viel Spaß gemacht.
Es ist Sonntag Mittag, 1 pm. Mein Marathon ist seit vier Stunden vorbei. Ich habe mich am Ziel-Buffet reichlich bedient und bin vollgefressen wieder zum Hotel gegangen. Geduscht und ziemlich groggy liege ich im Bett. Ich will ein wenig schlafen und heute Abend mit Jorina in die Stadt.
Es ist Montag früh, 8 am. Ich werde wach...