3. Deutschsprachiges Scrum-Meeting
Am 11.07.2008 trafen sich gut 40 Scrummer zum 3. Deutschsprachigen Scrum-Meeting in Unterföhring bei München. Dort sitzt die Allianz Shared Infrastructure Services, der IT-Dienstleister des bekannten deutschen Versicherungsunternehmens. Die versorgen momentan unter der Leitung von Simon Roberts ihre Projekte mit Scrum und waren Sponsor des Scrum-Meetings.
Das Meeting wurde im Open-Space-Format durchgeführt: Zu Anfang sammelte Krishan Matthis, der zusammen mit Simon den Tag organisiert hat, die Themen. Verteilt auf drei Räume und Säle wurde dann mit den Füßen abgestimmt, welche Themen in welchem Ausmaß gehört und diskutiert werden wollten.
Gleich zu Anfang war ich zusammen mit Hans-Peter Korn Session-Owner eines Timeslots zum Thema Teamdynamik. Hans-Peter ließ mir den Vortritt uns so trug ich zum erweiterten Tuckman-Model vor. Das Tuckman-Model zeigt Erklärungen für die Dynamik und bestimmte Phänomene innerhalb einer Gruppe auf und kann zur Kommunikation über und der Analyse von Gruppen herangezogen werden. Über die Namen der Phasen (Norming, Storming, Forming, Performing und Reforming) ist das erweiterte Tuckman-Model nach Eberhard Stahl zu großem Bekanntheitsgrad gelangt. Dazu sind die Folien online oder können gleich hier angeschaut werden:
Nachdem ich also ein Model zur Gruppendynamik vorgestellt habe, begann Hans-Peter seinen Session-Teil mit dem George-Box-Zitat "All models are wrong; some models are useful." Das versprach nach dieser Einleitung, mindestens interessant zu werden.
Konkret stellte Hans-Peter das Cynefin-Model vor. Er zeigte daran, dass die meisten Projektsituationen statt kompliziert oder einfach und damit analysierbar, eher komplex oder chaotisch und damit gar nicht oder nur sehr schwer analysier- und regelbar sind. Soweit ich es verstanden habe, argumentierte dann Hans-Peter über den Radikalen Konstruktivismus (Wahrnehmung ungleich Realität), dass teamdynamische Modelle (wie etwa auch das Tuckman-Model) als eine Art selbst erfüllende Prophezeiung durch ihre bloße Kenntnis den Betrachter zu falschen Schlüssen leitet, so nach dem Motto "Wenn ich einen Hammer habe, dann ist alles ein Nagel." Für Hans-Peter scheint es mir so, als ob statt Regeln von umfangreichen Modellen lediglich ganz grundlegende Eigenschaften für ein Team gelten, etwa "die grundsätzliche Übereinstimmung des Teams mit dem 'Sinn' des Teams als Ganzes" (Zitat aus seinem Skript zur Session). Umfangreiches Material hat Hans-Peter online zur Verfügung gestellt.
Das ist eine für mich ungeheuer spannende Sache, und ich bin ein wenig unglücklich, dass unsere gemeinsame Session nach 90 Minuten bereits vorbei war, ohne dass wir in eine tiefere Diskussion hätten einsteigen können. So sehe ich bislang noch einen Widerspruch in Hans-Peters Argumentation, denn einerseits rät er, Abstand von Modellen im Allgemeinen zu nehmen, andererseits basiert seine Argumentation ebenfalls auf zwei Modellen, dem Cynefin-Model und den allgemeinen Eigenschaften eines Teams. Leider konnten wir auch im weiteren Verlauf des Meetings uns nicht darüber austauschen. Muss ich unbedingt noch nachholen.
Nach dem Mittag bin ich zuerst bei Simon und Krishan in einer Session gewesen, in der sie die Frage nach wichtigen Skills für einen Scrum-Master stellten und damit eine rege Diskussion in Gang brachten. Ich habe nichts mitgeschrieben aus dieser Session, kann hier keine Liste aller Skills präsentieren, und erinnere mich an Skills wie das Verstehen der Abhängigkeiten von Werte, Prinzipien, Techniken. Authentizität war ein anderer genannter Skill. Nach 45 Minuten bin ich da dann raus und in eine andere Session.
Simon Roberts wechselte auch, wollte er doch zusammen mit Boris Gloger eine Session über die Rollen in Scrum halten. Über seine neuen Rollen in Scrum hat Boris bereits vor Wochen auf der Mailingliste der Deutschsprachigen Scrum-Community geschrieben, und da habe ich ihn nicht verstanden, aber auch keine Zeit zum Nachfragen gehabt. Auf dem Meeting in Unterföhring nun hoffte ich, ein wenig Licht ins Rollendunkel zu bekommen - war aber dann höchstens ein leichtes Flackern.
Boris präsentierte zunächst seine neuen Scrum-Rollen (Model: 3+3 Rollen): Neben den ursprünglichen Rollen Product-Owner, Scrum-Master und dem Team gibt es die glogerschen Rollen End-User, Kunde und Management. Rollen, so habe ich Boris verstanden, sind für ihn Container für Verantwortung, die im Prozess, nicht in der Firma, definiert sind. Die Verantwortung für den Product-Owner ist dabei der Return-On-Investment (ROI), die des Scrum-Masters die Prozesseinhaltung, die des Teams die Produktentwicklung. Die Verantwortung des End-Users ist die Benutzbarkeit des Produktes, die des Kunden das Budget und die des Managements der Einsatz des Prozesses (Scrum eben). Zwecks Unterscheidung erklärte Boris, dass Product-Owner, Scrum-Master und das Team zusammen das Scrum-Team genannt werden (laut Ken Schwaber so auf der englischsprachigen Mailingliste vor ein paar Wochen definiert).
Boris hatte mit einigem Gegenwind aus der Zuhörerschaft zu schaffen. So wurde nicht deutlich, warum es gerade diese drei neuen Rollen sein sollten, denn es wäre stark situationsabhängig, welche zusätzlichen Rollen für einen speziellen Scrum-Anwendungsfall definiert werden müßten. Außerdem, so wurde gegen das 3+3-Rollen-Model argumentiert, würde es die Einfachheit des ursprünglichen Scrum-Rollen-Models opfern, was nach Meinung einiger überhaupt erst Scrum so populär hat werden lassen.
Mich irritierte auch der Begriff "Scrum-Team" im Gegensatz zum Team. Stelle ich mir sehr schwer in der Referenzierung bei gesprochener Rede vor: "Reden wir vom Team..." - "Welches Team meinst Du? Das Scrum-Team oder das Team-Team?" - "Das Team eben, die Entwickler." - "Ah, okay, das Team-Team also." - "Nein, nur das Team." - "Ok, aber nicht das Scrum-Team." - "Nein, nicht dieses Team." - "Sondern das andere Team?!" - "..."
Fast wie ein Monty-Python-Sketch ("Spam Spam Spam Spam...").
Simon stellte daraufhin sein Model 3+1-Rollen vor. Seine These: Ja, es gäbe weitere Rollen neben den drei ursprünglichen Scrum-Rollen, aber welche das genau seien, das wäre abhängig vom genauen Kontext. Simon war das Minimieren der sozialen Komplexität sehr wichtig. Daher bezeichnete er diese zusätzlichen Rollen insgesamt als +1 oder "others", reduziert eben auf eine einzige Rolle, die mehrere Personen umfassen kann. Damit lässt er bewußt offen, welche Rollen das sind und auch, wie viele. Er stellt lediglich fest, dass es diese zusätzlichen Rollen gibt.
Meiner Ansicht nach adressiert das 3+1-Model nicht nur die vom Publikum vorgetragenen Bedenken, sondern belässt das Scrum-Rollen-Model hinreichend einfach; daß es noch andere Rollen geben kann neben den drei ursprünglichen, ist eigentlich logisch aus Sicht eines anpassbaren Prozesses, wie es Scrum zu sein behauptet. Simon hat es lediglich einmal explizit festgestellt: 3+1.
Weg von den Rollen: Neben der Teilnahme an und der Interaktion in den Sessions gab's noch ausreichend Gelegenheit, alte Bekannte wiederzusehen, neue Mitglieder der Scrum-Community kennen zu lernen und viel Flurfunk zu lauschen. Die Organisation war wieder vom Feinsten: Danke an Krishan und Simon! Kost und Logis des Sponsors Allianz waren sehr angenehm. Insgesamt gab's sehr viel positives Feedback in der Abschlussrunde der Veranstaltung für diesen Tag.
Eine Diskussion möchte ich nicht unerwähnt lassen: Über die Scrum-Community im Deutschsprachigen Raum und die restliche deutschsprachige Agile Szene, insbesondere, aber nicht nur, die XPler. Es gibt von beiden Seiten Stimmen, die jeweils eine zurückhaltende bis ablehnende Einstellung bei der jeweils anderen Community zu sehen glauben.
Einerseits sehen einige XPler kein Entgegenkommen auf Scrummer-Seite: Da wurde ein Sessionvorschlag abgelehnt, der weitere agile Praktiken diskutieren wollte, wenn denn Scrum erstmal in einer Firma/einem Projekt/einem Team etabliert ist. Oder es wird die Zurückhaltung im Sinne von Nichtbesuch bis Nichtteilnahme von Scrummern auf bzw. an den XpDays im November diesen Jahres bemängelt.
Andererseits sehen einige Scrummer kein Entgegenkommen auf XPler-Seite: Da wird sich gefragt, warum sich keine XPler in der deutschsprachigen Scrum-Community blicken lassen. Oder warum auf den XpDays Scrum scheinbar nur eine untergeordnete Rolle spielen soll.
Einige dieser Ansichten scheinen für mich dabei auf Missverständnissen zu beruhen. So sind einige XPler bereits Teil der deutschsprachigen Scrum-Community, etwa Joseph Pelrine, der Scrummer in Europa schlechthin, und derjenige, der seine Wurzeln in XP hat und immerhin zum Gründungsmeeting der Deutschsprachigen Scrum-Community damals in Frankfurt einlud. Jens Coldewey, Urgestein der Agilen Szene, war auf dem diesjährigen Treffen dabei, und es hörte sich stark danach an, als ob es nicht sein letztes Mal sein sollte. Andreas Thiel und Fahd Al-Fatish fallen mir noch als scrummende XPler ein. Auch ich habe meine Wurzeln in XP und bin von Anfang an bei der deutschsprachigen Scrum-Community dabei gewesen.
Die XpDays sind tatsächlich von jeher scrumaffin: Vor dem Hauptkonferenztag werden z.B. CSM-Kurse angeboten, viele Scrummer nehmen an der Veranstaltung teil und es gab in der Vergangenheit auch einige Scrum-Sessions auf den XpDays. Interessant an dieser Stelle: Im Programm der XpDays des letzten Jahres gab es zwei Sessions, die explizit Scrum thematisierten - gegenüber auch zwei Sessions, die explizit XP thematisierten. Ausgeglichener kann es wohl kaum zugehen.
Tatsächlich sehe ich ein großes Problem in der Namensgebung dieser Veranstaltung, die da mit vollem Namen lautet "XP-Days - Konferenz für Entwickler und Projektmanager über eXtreme Programming und agile Softwareentwicklung". Da steckt Agile SE nur noch als Appendix im Untertitel der Veranstaltung und klammert damit - bestimmt nicht mit Absicht, aber immerhin - potentiell Scrummer aus oder stellt sie scheinbar in die zweite Reihe. Die Veranstaltung wird quasi überall nur mit "XpDays" referenziert, und da geht auch noch das letzte bisschen "agil" im Titel flöten. Es wird aus meiner Sicht Zeit für die AgileDays, damit Scrum gleichberechtigt neben XP und Chrystal und FDD und Wiesiealleheißen auftreten kann, für "Ideen, die vor allem der gemeinsamen Sache helfen."
Über das 3. Deutschesprachige Scrum-Meeting schrieben auch
- Jens Coldewey: Scrum-Gathering in München
- Boris Gloger: 3. Deutschsprachige Scrum Gathering